Verkehrsunfall infolge Treibjagd
BGB § BGB § 823 BGB § 823 Absatz 1
- Droht Dritten aus der Durchführung einer Jagdveranstaltung ein Eingriff in ihre durch § BGB § 823 BGB § 823 Absatz 1 BGB geschützten Rechtsgüter und unterlässt der Jagdausübungsberechtigte die erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zur Abwehr solcher Gefahren, kann er für den daraus resultierenden Schaden ersatzpflichtig sein.
- Der Veranstalter einer Treib- oder Drückjagd hat der Gefährdung des Straßenverkehrs infolge eines wesentlich erhöhten Wildwechsels durch wirksame Vorkehrungen bei der Jagddurchführung zu begegnen. (Leitsätze der Einsenderin)
LG Rostock, Urteil vom 6. 9. 2002 – 4 O 176/02
Zum Sachverhalt:
Die Kl. begehrt aus Amtshaftung Schadensersatz wegen eines Unfallereignisses, welches sich am 1. 12. 2000 gegen 9.30 Uhr auf der B 105 ereignete. Der zugleich als Zeuge für das Unfallgeschehen benannte Ehemann der Kl. befuhr am Unfalltag mit einem Pkw die Straße mit etwa 90 km/h, als er mit einem ca. 70 kg schweren Wildschwein, das die Fahrbahn querte, kollidierte. Die dadurch entstandenen Reparaturkosten in Höhe von 15178,62 DM beglich die Teilkaskoversicherung. Die Selbstbeteiligung in Höhe von 300 DM begehrt die Kl. nunmehr neben einer Aufwandspauschale mit der Begründung: Zum Unfallzeitpunkt habe im Bereich des Unfallorts eine Ansitz-Drückjagd stattgefunden. Allerdings seien Vorkehrungen zur Sicherung des Straßenverkehrs nicht getroffen worden. Dem Jagdausübungsberechtigten, nämlich der bekl. Stadt, habe es im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht oblegen, notwendige Maßnahmen zum Schutze des Straßenverkehrs zu ergreifen. So sei das Wild nicht in Richtung auf eine befahrbare Straße, sondern von dieser wegzutreiben. Da bei jeder Drückjagd Keiler auch nach hinten wechseln könnten, seien in unmittelbarer Nähe stark befahrener Straßen zur Vorbereitung der Jagd das Zeichen 142 StVO „Wildwechsel” mit dem Zusatzzeichen 1001-30 bzw. 1001-31 und einem Zusatzschild „Heute Jagd” oder „Achtung Jagd” oder „Treibjagd”
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anzubringen. Diese Schilder seien deutlich sichtbar mit einem Mindestbodenabstand von 0,60 m am Straßenrand aufzustellen, wobei eine zusätzliche Kennzeichnung mit roten Fähnchen empfohlen werde. Die Bekl. verteidigt sich gegen ihre Inanspruchnahme mit der Begründung, dass sie alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen habe, um ihrer Verkehrssicherungspflicht gerecht zu werden. Die Jagd sei so veranstaltet worden, dass sie von der Straße weggeführt worden sei, sich die Straße also im Rücken der Jäger befunden habe. Es sei deshalb nicht zu erwarten gewesen, dass Tiere auf Grund der Jagd aufgescheucht und nach hinten zur Straße laufen würden. Das Aufstellen von Warnschildern sei auch deshalb nicht erforderlich gewesen, weil zwischen dem Grundstück, auf dem die Jagd stattgefunden habe, und der Straße sich sowohl eine Bahnstrecke als auch ein breiter Graben befänden.
Die Klage hatte mit Ausnahme einer geringfügigen Zuvielforderung an Zinsen und der Höhe der geltend gemachten Auslagenpauschale Erfolg.
Aus den Gründen:
- Zweifelhaft ist allerdings die sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. So hat die Bekl. die Zuständigkeit des zunächst angerufenen AG mit der Begründung angezweifelt, mit der Klage seien Ansprüche aus Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht geltend gemacht, deren Wahrnehmung gem. § 10 des Landesstraßengesetzes der Bekl. als Amtspflicht in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit obläge. Indes steht allein im Streit, ob die bekl. Stadt als Jagdausübungsberechtigte ihrer nach den einschlägigen Jagdgesetzen obliegenden Verkehrssicherungspflicht hinreichend nachgekommen ist. Diese Verkehrssicherungspflichten sind aber privatrechtlich ausgestaltet und allein aus § BGB § 823 BGB ableitbar. Nichts anderes lässt sich der Klageschrift entnehmen. Hinzu kommt, dass für den streitigen Streckenabschnitt eine Verkehrssicherungspflicht der bekl. Stadt mangels örtlicher Zuständigkeit auch nicht aus dem Straßen- und Wegegesetz Mecklenburg-Vorpommern entnommen werden kann. Streitgegenstand ist vielmehr die Verletzung einer allgemeinen Verkehrssicherungspflicht aus § BGB § 823 BGB, wie sie jedem anderen auch privatrechtlichen Jagdausübungsberechtigten obliegt. Es bestehen deshalb erhebliche Zweifel an der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des AG, weil dort lediglich § GVG § 71 GVG § 71 Absatz II Nr. 2 GVG in Bezug genommen wird, die Entscheidung aber offen lässt, warum die Voraussetzungen dieser Norm erfüllt sein sollen. Mangels jeglicher nachvollziehbarer Begründung der Verweisungsentscheidung, die sich insoweit als willkürlich erweist, vermag ihr die Kammer Bindungswirkung nicht beizumessen.
- Haben sich die Parteien auf die Verhandlung vor dem angerufenen Gericht rügelos eingelassen, lässt sich bereits aus dem unstreitigen Vorbringen der Parteien eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Bekl. herleiten.
Hierzu ist zunächst auszuführen, dass der Jagdausübungsberechtigte nicht, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflicht gem. § BGB § 823 BGB § 823 Absatz I BGB, gehalten ist, den Straßenverkehr vor den allgemeinen Gefahren zu schützen, die von über die Straße wechselndem Wild in seinem Jagdrevier ausgehen (vgl. BGH, VersR 1976, VERSR Jahr 1976 Seite 593). Die Beherrschung derartiger durch die Widmung der Straße geschaffenen Gefahren obliegt nicht der Bekl. als Jagdausübungsberechtigte, sondern den für die Unterhaltung und Sicherung der Straße verantwortlichen Stellen.
Allerdings kann der Jagdausübungsberechtigte zur Gefahrenabwehr verpflichtet werden, wenn er – etwa als Veranstalter und Organisator einer Jagd – die Wahrscheinlichkeit von Wildwechsel über eine verkehrsreiche Straße erhöht, er es also zu verantworten hat, dass sich die hieraus ergebenden Gefahren für den Straßenverkehr vergrößern. Diese Haftung erschließt sich bereits aus dem aus § BGB § 823 BGB § 823 Absatz I BGB abgeleiteten allgemeinen Grundsatz des Deliktsrechts, wonach, wer eine Gefahrenquelle schafft, im Rahmen des Erforderlichen und Zumutbaren Maßnahmen treffen muss, damit sich diese potenziellen Gefahren nicht in einem Schaden Dritter auswirken können (BGHZ 5, BGHZ Band 5 Seite 378 [BGHZ Band 5 Seite 380] = NJW 1952, NJW Jahr 1952 Seite 1050; BGH, VersR 1976, VERSR Jahr 1976 Seite 593). Droht Dritten aus der Veranstaltung der Jagd und ihrer Durchführung ein Eingriff in ihre durch § BGB § 823 BGB § 823 Absatz I geschützten Rechtsgüter und unterlässt der Verantwortliche solche Maßnahmen, kann er für den daraus resultierenden Schaden ersatzpflichtig werden, der auf seinem Unterlassen beruht.
Andererseits können nicht alle nachteiligen Auswirkungen der Jagd von dem Verkehr fern gehalten werden; das gilt gerade für die Beeinträchtigung des Straßenverkehrs durch bei der Jagd aufgestörtes Wild. Müsste die Gefahr solcher Verkehrsberührungen mit über die Straße wechselndem Wild unterbunden bleiben, könnte angesichts heutiger verkehrsmäßiger Erschließung der Landschaft ein sinnvolles Bejagen nicht mehr stattfinden. Auf Straßen, die über Land oder durch Wald führen, gehören solche Begegnungen mit flüchtendem Wild zu den gewöhnlichen Gefahren des Straßenverkehrs. Solche Unfälle sind im Verhältnis zum Jäger als Lasten des Straßenverkehrs anzusehen, für die der Geschädigte den zur Jagdausübung Berechtigten nicht zur Verantwortung ziehen kann.
Anderes gilt, wo der Straßenverkehr über das Maß normaler Verkehrserwartungen hinaus durch bei der Jagd hoch gemachtes Wild beeinträchtigt wird. Gefahren der Jagd, die durch jene Zwänge der Verhältnisse nicht gefordert werden, braucht der Straßenverkehr nicht ohne weiteres hinzunehmen. Ebenso wenig darf er den Gefahren eines wesentlich erhöhten Wildwechsels ausgesetzt werden, selbst wenn sie mit einer bestimmten Art der Jagdausübung notwendig verbunden sind. Solchen erhöhten Gefahren muss entweder durch wirksame Maßnahmen begegnet werden, oder die Jagd muss unterbleiben. Deshalb wird der Jagdausübungsberechtigte für verpflichtet gehalten, bei Treib- oder Drückjagden das Wild nicht in Richtung auf eine befahrbare Straße zu treiben oder zu drücken, sondern das Treiben von der Straße möglichst wegzuführen und dabei durch möglichst dichte Treiberketten einem Auswechseln des Wildes nach rückwärts zusätzlich vorzubeugen, etwa durch Anbringung von so genannten Jagdlappen, so dass entlang der gefährdeten Straße ausbrechendes Wild von einem Wechsel über die Straße abgehalten wird, oder durch Warnbilder und Warnposten die Verkehrsteilnehmer auf die Jagd hingewiesen werden (vergl. BGH, VersR 1976, VERSR Jahr 1976 Seite 593 [VERSR Jahr 1976 Seite 594] m.w. Nachw.). Diese Maßnahmen erachtet der BGH in vorbezeichneter Entscheidung, der sich die Kammer uneingeschränkt anschließt und deren Inhalt sie sich für die Entscheidung des vorliegenden Falles zu Eigen macht, mit Rücksicht auf das regelmäßig nicht unerhebliche Ausmaß von Treib- und Drückjagden, vor allem aber deshalb für angebracht, weil ein Treiben in Richtung auf eine befahrene Straße die Verkehrsteilnehmer geradezu in die Gefahren von Wildbegegnungen hineinführt. Dies vorausgeschickt, führt die Anwendung vorgenannter Grundsätze zu nachfolgender Bewertung des streitgegenständlichen Geschehens:
Nachdem nach Erörterung in der mündlichen Verhandlung nunmehr insoweit unstreitigen Parteienvorbringen ist das aufgestörte Wild nicht auf die Bundesstraße zugehetzt, sondern von dieser fortgetrieben worden. Allerdings ist die Bekl. ihrer Verpflichtung, durch möglichst dichte Treiberketten einem Auswechseln des Wildes nach rückwärts zusätzlich vorzubeugen, nicht gerecht geworden. Auch hat sie nicht durch die Anbringung von so genannten Jagdlappen entlang der gefährdeten Straßen ausbrechendes Wild von einem Wechsel über die Straße abgehalten. Sie hat weder Warnbilder noch Warnposten aufgestellt, die die Verkehrsteilnehmer auf die Jagd hätten hinweisen können. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine Schützenkette das aufgestörte Wild hätte zur Strecke bringen können. Das aufgeschreckte Wildschwein ist nach dem Ergebnis der Erörterung in der mündlichen Verhandlung danach vor einem Schützen in leichtem Troll in Richtung Straße vorbeigelaufen, und zwar ca. 100 m von dieser entfernt. Die Geländeformation war nicht geeignet, aufgeschrecktes Wild von einer rückwärtigen zur Straße führenden Flucht abzuhalten. Dazu diente weder der Graben noch die davor verlaufende Bahnstrecke. Denn diese Örtlichkeiten verhinderten weder durch ihre bauliche Eigenart noch dadurch, dass sie als unüberwindliches Hindernis gelten können, die Fluchtrichtung des aufgeschreckten Wildes in Richtung Straße. Dafür hätte es des Aufstellens einer Postenkette
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bedurft, die den Straßenverkehr vor aufgemachten Wild hätte schützen können. Selbst wenn das Wildschwein, weil es maximal fünf Jahre alt war, nicht für den Abschuss während der Jagd freigegeben war, hätte es zur Vermeidung erheblicher Gefahr für Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer auf Grund einer Güterabwägung zwischen akuter Gefährdung menschlichen Lebens und waidgerechter Hege und Pflege des Wildbestandes abgeschossen werden müssen, nachdem es von einem Jäger beobachtet auf die Straße zulief. Dies gilt umso mehr, als die Jagd während der Hauptrauschzeit stattfand, das Wild deshalb unberechenbar war und nicht erwartet werden konnte, es werde sich durch Verkehrsgeräusche von einem Queren der Straße abhalten lassen.
Die durchgeführte Drückjagd war für das Aufschrecken des Wildschweins und seiner Flucht zur Straße hin auch kausal. Jedenfalls kann die Kl. dafür den Anscheinsbeweis für die Unfallursächlichkeit der Drückjagd des Jagdausübungsberechtigten in Anspruch nehmen, weil sich der Unfall mit dem die Straße überquerenden Wild während einer in unmittelbarer Nähe der Straße durchgeführten Jagd ereignet hat und zudem die Jagd in ihrer konkreten Ausgestaltung, nämlich ohne schussbereite Postenkette, einen erhöhten Wildwechsel auf der Straße erwarten ließ. Ein die Bekl. entlastender allgemeiner Erfahrungssatz, dass Schwarzwild, wenn es durch Jäger aufgestört wird, erst nach geraumer Zeit in seiner Flucht verhält und darüber hinaus hinsichtlich des Fluchtweges kaum zu beeinflussen sei, existiert in dieser Allgemeinheit nicht. Hat die Bekl. den Anscheinsbeweis, auf den sich die Kl. vorliegend berufen kann, weder durch entsprechenden Vortrag noch durch Beweisangebote erschüttert, steht die Unfallursächlichkeit damit zu Gunsten der Kl. fest.
Dagegen lässt sich eine Haftung der Bekl. aus § BGB § 823 BGB § 823 Absatz II BGB i.V. mit § BJAGDG § 20 BJAGDG § 20 Absatz I BJagdG nicht herleiten. Letztere Vorschrift verbietet das Jagen an Orten, an dem nach den Umständen des Einzelfalls die öffentliche Sicherheit gestört oder Menschenleben gefährdet werden kann und ist deshalb Schutzgesetz i.S. des § BGB § 823 BGB § 823 Absatz II BGB (Lorenz, BJagdG, § 20 Rdnr. 1).
Allerdings kann dieser Vorschrift ein generelles Verbot, in der Nähe von Bundes- oder anderen Straßen die Jagd auszuüben, nicht entnommen werden. Maßgeblich sind vielmehr, wie sich bereits dem Wortlaut der Vorschrift entnehmen lässt, die Umstände des Einzelfalls. Ob also die öffentliche Sicherheit oder das Leben von Menschen gefährdet war, ist unter vergleichbaren Kriterien zu beurteilen wie die Frage, ob der Jagdausübende die ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht beobachtet hat. Nach den insoweit unstreitigen Örtlichkeiten lässt sich ein grundsätzliches Jagdverbot an der Unfallstelle nicht herleiten. Andernfalls würde in Anbetracht eines solchen Sachverhalts eine Jagd mit mehreren Teilnehmern nicht nur die Grenzen des Zumutbaren für den Jagdveranstalter überschreiten, sondern sich auch im Widerspruch zu den Erwägungen setzen, nachdem die normalen Gefahren einer Begegnung mit flüchtendem Wild, sei es auch bei einer Jagd aufgeschreckt, den allgemeinen Lasten des Straßenverkehrs zuzurechnen sind. Vielmehr gilt insoweit, dass die Verkehrssicherungspflichten des Veranstalters und Organisators einer Jagd aus den allgemeinen Grundsätzen herzuleiten sind, wenn Dritten aus der Veranstaltung der Jagd und ihrer Durchführung ein Eingriff in ihre durch § BGB § 823 BGB § 823 Absatz I BGB geschützten Rechtsgüter droht. Vermögen die vorliegenden Umstände die Voraussetzungen für die Annahme eines jagdpolizeilichen Verbots des § BJAGDG § 20 BJAGDG § 20 Absatz I BJagdG nicht erfüllen, unterlässt der Verantwortliche aber solche Maßnahmen, die eine Gefährdung des Straßenverkehrs zumindest reduzieren, so kann er auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, der auf seinem Unterlassen beruht.
Hinreichende Anhaltspunkte dafür, aus denen sich ein der Kl. zurechenbares Mitverschulden gem. § BGB2001 § 254 BGB a.F. herleiten ließen, sind nicht dargetan noch sonstwie ersichtlich geworden. (Wird ausgeführt.)
(Mitgeteilt von Richterin am LG M. Köster-Flachsmeyer, Rostock)